Sollte man das Web-Scale Networking in Betracht ziehen?
14. November 2018Das Konzept des Web-Scale Networkings, auch Hyperscale genannt, wurde durch Unternehmen wie Google, Netflix und Facebook bekannt. Sie entschieden sich für dieses Modell, weil es sich als kostengünstig, resilient und skalierbar bewährt hat und Großunternehmen in einigen Fällen eine bessere Performance bietet.
In den letzten Monaten zog die Web-Scale-Strategie erneut die Aufmerksamkeit von Unternehmen auf sich, die auf Veränderungen in der Rechenzentrumslandschaft und den vermehrten Einsatz von rechenintensiven, komplexen Technologien wie KI, maschinellem Lernen (Machine Learning) und Big Data-Analysen reagieren müssen. Was sollten IT-Experten vor diesem Hintergrund wirklich über Web-Scale wissen?
Das versteckt sich hinter Web-Scale
Kern einer Web-Scale-Strategie ist ein Satz an Basistechnologien und Vorgehensweisen, die Unternehmen die gleichen Funktionen, Kostenstrukturen und Flexibilität bieten, die sonst nur sehr große Cloud-Dienstanbieter (CSPs) bereitstellen können. Eine vermutlich realistischere Beschreibung ist der Betrieb eines AWS®– oder Azure®-ähnlichen Rechenzentrums, das Kostenvorgaben einhält, aber dafür Kompromisse bei den Funktionen eingehen muss. Obwohl IT-Experten einige der auch von Cloud-Dienstanbietern angebotenen Funktionen günstiger bekommen, erhalten ihre Unternehmen möglicherweise nicht die gleichen komplexen oder ausgereiften Funktionen.
Eine erfolgreich implementierte und verwaltete Web-Scale-Strategie kann die Preisstruktur, den Funktionsumfang und die Flexibilität bieten, die CSPs selbst erfolgreich einsetzen. Sie erfordert jedoch auch enormes Fachwissen, Disziplin und hohe Anfangsinvestitionen, wovor viele Unternehmen zurückschrecken.
Warum sollte man es also versuchen?
Cloud Computing für den Großhandel
Unternehmen, die über das nötige Budget, Fachwissen und die Mitarbeiter zur Web-Scale-Implementierung verfügen, können einige Vorteile nutzen, durch die die Investition lohnenswert wird. Natürlich sind für viele Unternehmen die Kosten ein entscheidender Anreiz für die Umstellung auf eine Web-Scale-Architektur. Unternehmen wie Volkswagen® müssen nicht selten jährliche AWS- oder Azure-Rechnungen in Höhe von zweistelligen Millionenbeträgen bezahlen.
Wenn man über die erforderlichen IT-Experten verfügt, insbesondere wenn der CSP ein direkter Konkurrent ist, kann man darüber nachdenken, selbst eine CSP-ähnliche Umgebung zu implementieren. Es ist möglich, „Großhandelspreise“ für dieselbe Originalgerätehersteller-Infrastruktur (OEM) zu erhalten, die auch öffentlich von Cloud-Anbietern weiterverkauft wird. Für Unternehmen, deren Anwendungen einen hohen Datenbedarf haben, ist das ein besonders wichtiger Vorteil. Industrielle IoT-Systeme (Internet of Things, Internet der Dinge) können beispielsweise Millionen von Sensoren umfassen, die enorme zu verarbeitende Datenmengen generieren und dementsprechend ausreichend skalierbare Infrastrukturen erfordern.
In anderen Fällen spielen Sicherheitsbedenken eine Rolle bei der Abwägung, ob Web-Scale-Implementierungen im privaten Rechenzentrum sinnvoll sind. Gesundheitsorganisationen und Regierungsbehörden scheuen oft weiterhin den Schritt, Patientendaten oder persönliche Daten außerhalb der Firewall zu hosten, selbst wenn Cloud-Dienstanbieter über Compliance-Zertifizierungen verfügen. Ähnlich verhält es sich bei Unternehmen, die hoffen, Unternehmensspionage zu vermeiden, indem sie vertrauliche, firmeneigene Daten in einer lokalen Web-Scale-Architektur statt auf einer cloudbasierten Remote-Plattform speichern.
Unternehmen mit einer großen Onlinepräsenz haben bereits komplexe Methoden implementiert, um die Verfügbarkeit der Daten zu gewährleisten. Erwartungsgemäß wird die Komplexität der IT-Infrastruktur zunehmen, beispielsweise bei der Ausbreitung in verschiedene Regionen oder Verfügbarkeitsgebiete. Web-Scale-Methoden sind bekannt dafür, eine offene Skalierung für Benutzer zu ermögliche, die über das Internet verbunden sind.
Nebenbei gibt es noch weitere Vorteile wie beispielsweise eine verbesserte Leistung, wenn Daten nicht in 10, 20 oder 60 Millisekunden gesendet werden müssen, sowie deutlich geringere Lizenzierungskosten, die der Herkunft von Web-Scale im Open-Source-Bereich zu verdanken sind. Das bietet einen weiteren Anreiz für große Unternehmen, die ihren IT-Betrieb von Anfang bis Ende kontrollieren möchten.
Herausforderungen bei der Implementierung
Große Vorteile bergen jedoch auch große Herausforderungen und Abwägungen.
Allein schon die zur Implementierung einer Web-Scale-Architektur erforderlichen Fertigkeiten sind enorm. CSPs wie AWS und Azure haben viele Jahre mit der Entwicklung ihrer Technologie und dem Hosten von Plattformen und Add-On-Services verbracht – und sie können sich den Luxus erlauben, sich ausschließlich auf die Entwicklung und Innovation in diesen Bereichen zu konzentrieren. Das Basisangebot von AWS, eine Sammlung von über 100 Tools, die sich jeweils auf eine Kompetenz konzentrieren (z.B. die Containerverwaltung oder Queuing-Dienste usw.), ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr sich der Anbieter spezialisiert hat.
Währenddessen werden IT-Experten auf Unternehmensebene immer noch mit der Bearbeitung von Helpdesk-Anfragen und Instandhaltungsaufgaben beauftragt, was ihnen die nötige Zeit raubt, sich ständig um Web-Scale-Implementierungen kümmern zu können. Außerdem ist die Investition in Web-Scale ein gewaltiges Kostenunterfangen, während das Augenmerk der meisten Unternehmen heutzutage auf der Kosteneffizienz liegt. Die bestehende IT-Infrastruktur ist höchstwahrscheinlich hochgradig vernetzt und mit potenziellen Fehlerquellen gespickt: Es kann beispielsweise passieren, dass ein Speicher-SAN-System ausfällt, was dazu führt, dass gleichzeitig das Netzwerk aufgrund eines DNS-Ausfalls offline geht. Dabei handelt es sich um das genaue Gegenteil der Web-Scale-Philosophie.
Schlussendlich kann sich das für die Ausführung von unternehmenskritischen Anwendungen verantwortliche IT-Team nicht gleichzeitig um die Plattform kümmern: Diese Aufgabe sollten spezialisierte Entwickler und Admins übernehmen. Hierfür braucht es zusätzliche Zeit, Fachkenntnisse und finanzielle Ressourcen, die viele Unternehmen schlicht nicht haben.
Sollte man Web-Scale in Betracht ziehen?
Diese Herausforderungen bedeuten natürlich nicht, dass die Implementierung zumindest einiger weniger Web-Scale-Architekturen für Unternehmen nicht doch nützlich sein könnte. Unabhängig davon, ob man sich aktuell auf den Umstieg auf Web-Scale vorbereitet oder nur an die Zukunft denkt, sollten sich IT-Experten und Unternehmen einige Fragen stellen:
- Ist das Unternehmen groß genug? Wenn das Unternehmen groß genug ist, um die Anforderungen an Budget und Fachkenntnisse zu erfüllen, ist Web-Scale eine vielversprechende Idee. Es bietet eine hohe Flexibilität, Kosteneinsparungen und Anpassungsmöglichkeiten, ohne das Unternehmen von einem CSP oder SLA abhängig zu machen. Derzeit gibt es keine „ideale Unternehmensgröße“ für Web-Scale-Bereitstellungen. Dies versucht der gesamte Markt gerade herauszufinden, da die Vorteile des Web-Scale Computings immer mehr Unternehmen bekannt sind. Solange sich Unternehmen nicht vorstellen können, Hunderte interne Entwickler zu beschäftigen, nicht so groß sind wie Facebook, Google oder Walmart® oder ihre CSP-Kosten nicht einen großen Teil ihres Gesamtbudgets ausmachen, benötigen sie wahrscheinlich nicht die gleiche Infrastrukturgröße wie diese großen Unternehmen. Web-Scale ist also wahrscheinlich nicht die beste Investition für die nahe Zukunft.
- Stehen ausreichend Fachkenntnisse zur Verfügung? Verfügt die IT-Abteilung über die erforderlichen technischen Fachkenntnisse, um eine Architektur auf dem neuesten Stand zu halten und auch kontinuierlich zu verwalten, die ursprünglich für große Cloud-Unternehmen konzipiert wurde? Unternehmen müssen nicht nur in Entwickler investieren, um die laufende Verwaltung und Instandhaltung der Web-Scale-Plattform zu ermöglichen, sondern auch die gesamte Herangehensweise der IT-Abteilung überdenken. Große Unternehmen wie Nike® oder Walmart stellen große Teams ein, die speziell für die Web-Scale-Architektur zuständig sind. Um die Vorteile auch nutzen zu können, benötigen Unternehmen ein eigenes Team für die Verwaltung dieser Plattformen.
- Sind Unternehmen und IT-Abteilung ausreichend engagiert und flexibel, um die IT grundlegend umzugestalten? Letztendlich ist Web-Scale gleichbedeutend mit der Verpflichtung, fortlaufend regelmäßig Umstrukturierungen vorzunehmen. Man sollte dabei nicht vergessen, dass AWS, Azure und Google sich ausschließlich auf Innovationen und die Entwicklung von Diensten konzentrieren. Diese Unternehmen stecken die eigenen Ziele ständig neu, wenn es darum geht, für die aktuellste Infrastruktur und Technologie im eigenen Unternehmen zu sorgen. Durch die Implementierung einer Web-Scale-Architektur rennen Unternehmen den CSPs und ihren laufenden Technologieentwicklungen ständig hinterher. Wenn das eigene Unternehmen groß genug ist, ist das in Ordnung. In den meisten Fällen ist es jedoch eine unabdingbare Voraussetzung, die auf viele IT-Entscheidungsträger, die IT-Investitionen als geschlossen betrachten, einschüchternd und abschreckend wirkt.
Fazit
Das Web-Scale Computing hat eine enorme transformative Kraft. Um es umzusetzen, müssen Unternehmen jedoch zu enormen finanziellen und personaltechnischen Investitionen bereit sein. Daher ist es unrealistisch zu glauben, dass in naher Zukunft ein Großteil der Unternehmen diesen Schritt wagen wird.
CSPs wie Microsoft Azure und AWS arbeiten daran, traditionellen Unternehmen zumindest einige Platform-as-a-Service-Funktionen (PaaS) bereitzustellen, beispielsweise über Lösungen wie Azure Stack™ und die kürzlich angekündigte Partnerschaft zwischen AWS und VMware. Beide bieten einen reduzierten Funktionsumfang an, funktionieren jedoch außerhalb der Cloud.
Auch wenn das Web-Scale Computing vermutlich noch nicht allzu bald in den meisten Unternehmen anzutreffen sein wird, zeigen sich seine Vorteile allmählich in realistischeren Bereitstellungsoptionen. Wenn IT-Experten zu diesen Entwicklungen auf dem Laufenden bleiben, können sich Möglichkeiten ergeben, zentrale Vorteile einer geeigneten Web-Scale-Architektur zu nutzen, ohne kräftezehrende Probleme beheben zu müssen.
Patrick Hubbard, Head Geek bei Solarwinds